Invasion der Hottentotten oder warum ich Picknicks liebe

Ich habe den Eindruck, dass sich mein Dasein, seit ich Kinder habe, darauf beschränkt, Essen heranzukarren, Essen in irgendeiner Form zu verarbeiten, Essen aufzudecken, Essen abzudecken und Essen vom Boden, den Wänden, den Stühlen, den Tischen und sogar den Fenstern abzukratzen. Auch das Entfernen von Essensresten auf T-Shirts, Kleidchen und Hosen ist mit meiner mütterlichen Existenz verwoben, wie die morgendliche Meditation im buddhistischen Kloster. Atme ich irgendwann erleichtert auf, weil ich den letzten Krümel aus der hintersten, abstrusen Ecke unseres Hauses aufgeklaubt und entsorgt und das Spiderman T-Shirt von einem unheilvollen Fettfleck befreit habe, bricht die Nacht über mich herein und wenige Stunden später, wenn der Morgen graut, fängt der ewige Zyklus von vorne an.

Ich, die multifunktionale Wirtin

Dabei fühle ich mich als würde ich ein Gastgewerbe betreiben. Bei diesem Gastgewerbe bin ich nicht nur der herzliche Gastgeber, sondern auch Einkäufer, Koch, Kellner, Putz- und Waschfrau in Personalunion. Ich bin ein Held, ein Tausendsassa! Denn ein einfacher Vorgang wie das Essen zieht in unserem Hause einen langen Schwanz an diversen Arbeitsschritten nach sich. Das liegt daran, dass meine Gäste hin und wieder einen recht martialischen Habitat bei der Nahrungsaufnahme an den Tag legen. So werde ich fast täglich von den Hottentotten übermannt.  Gerade mein jüngster Stammgast versteht, wenn es um so elementare Dinge wie essen geht, keinerlei Spaß. Merkt meine Tochter zum Beispiel, dass sie nach dem ersten Augenaufschlag nicht wie erwartet, schnurstracks in das von mir betriebene „Lokal“ getragen wird, sondern die Wirtin zunächst den Weg in Richtung Wickelkommode einschlägt, wird der Morgen mit Zeter und Mordio klangvoll eingeläutet. Geduld ist eine Tugend, an der meine Tochter noch arbeiten muss. So beginne ich in Windeseile mit meiner morgendlichen Schnippelei diverser Obstsorten. Ist das erste Müsli angerichtet, beginnt mein Mädchen die von mir liebevoll zubereitete Vitaminbombe in sich hineinzustopfen als gäbe es kein Morgen mehr. Neutrale Beobachter könnten sogar den Eindruck gewinnen, Louloubelle hätte während ihres kurzen Erden-Daseins auf betrüblichste Weise darben müssen.

Die jungen wilden Food Artisten

Allerdings endet dieser Stopf-Prozess abrupt. Nämlich dann, wenn das zweite Müsli für den Stenz auf dem Tisch steht. Denn mein Zweitgeborenes hat einen starken Hang zum Futterneid. So als hätte sie zwanzig Brüder, die ihr das Gelbe vom Ei missgönnten. Da kann ich noch so oft versichern, dass das Stenz’sche Müsli mit denselben wertvollen Ingredienzien punktet wie ihr eigenes. Während Louloubelle brüllt und sich nach dem brüderlichen Essen verzehrt, verteidigt der Stenz schon aus Prinzip sein Frühstück. Obwohl er sich für letzteres genauso begeistert wie Donald Trump für den Umweltschutz. Die Spuren dieses ersten Frühstück-Kampfes wirken wie abstrakte Food-Art. Meine Kinder sind dabei die jungen Wilden der häuslichen Food-Art-Szene. Dabei ist das Arbeits-Outfit der jungen Künstlerin bemerkenswert. Um ihren Hals baumelt ein grüner, sehr kleidsamer Frosch-Latz, der als Auffangbecken von Blaubeerschalen, ausgespuckten Brotrinden, verschlabberter Milch und anderem undefinierbar Wiedergekäutem dient. Vergesse ich morgens und mittags nachlässigerweise die Säuberung dieses Auffangbeckens, fühle ich mich am Abend wie ein Fischer, der mit fetter Beute vom Meer in den Hafen einfährt. Dass die Künstlerin während ihrer Live-Food-Art-Performance in einer Art „Pferdegeschirr“ angeschnallt ihrer Passion nachkommt, ist unserer Vorsicht geschuldet. Denn die Artistin seilt sich beim Umherwerfen und Verschmieren von Lebensmitteln gerne einmal wagemutig, wie ein Bungee Jumper im Adrenalinrausch, von ihrem Kindersitz ab.

Küss‘ die Hand!

Und obwohl mein Zweitgeborenes unterhalb ihres Froschlatzes, also knieabwärts, von weit ausgebreiteten Tüchern verdeckt wird, hinterlässt sie bei jedem Mahl eine farbenfrohe Spur auf ihren Kleidern. Ob Himbeeren, Tomatensauce, Butter oder andere bunte Speisen, sie werden an ihren Gewändern und  in ihren Haaren verewigt. Es vergeht kein Tag an dem Louloubelles Garderobe am Abend nicht einen schweren Grad der Verwahrlosung aufweist. Es sei denn, ich habe zuvor hundertdreißig Mal ihre Outfits gewechselt. Allerdings habe ich, die beschäftigte Wirtin, für solcherlei Sperenzchen keine Zeit. Und auch der Stenz zieht den Ärmel, um lästige Speisereste abzuwischen, ganz klar seiner Serviette vor. Für was gibt es auch Flecken-Zwerge? Diese kleinen wundersamen Verbündeten im Kampf gegen Rinnsale jedweder Couleur begrüßen mich in der Drogerie schon mit Kusshand. Karre ich ja Wagenladungen von ihnen wöchentlich nach Hause.

„Halt’s bitte mit zwei Händen!“

Diese, von meinen Eltern oft synchron ausgerufene Phrase begleitete meinen Bruder und mich durch unsere gesamte Kindheit. Heute weiß ich warum. Denn auch ich belle sie öfter mal lautstark durch unser Haus. Während der Stenz zu meinem Erstaunen mit immer gesitteteren Tischmanieren bei fester Nahrungsaufnahme aufwartet (mal ausgenommen des Käse-Stangen-Massakers, das er vor kurzem unbemerkt veranstaltete) erleben wir bei seiner flüssigen Nahrungsaufnahme leider immer wieder herbe Rückschläge. Und da sich  auch meine Tochter momentan hemmungslos selbst überschätzt und auf selbständiges Trinken aus Bechern beharrt, breiten sich in unserem Heim Wasser-, Apfelsaft- und Milchlachen ozeangleich aus. Und ich bin mir sicher, es kommt der Tag, an dem wir in einer der Lachen ertrinken oder auf ewig festkleben.

Aas-Beseitigung oder Fischstäbchen-Weitspucken 

Doch nun hat, Yippie, yippie yeah die Outdoor-Saison endlich begonnen. Und das ist nicht nur fabelhaft, weil mir süßer Blumenduft in die Nase steigt, der See für frische Abkühlung sorgt und sich die Sonne auf meiner Haut so wohlig anfühlt. Nein, ein wunderbarer Grund ebenfalls den Sommer zu bejubeln ist, dass meine Kinder endlich wieder draußen essen. Hier, unter freiem Himmel versickern sämtliche Lachen, Krümel und wiedergekäuten Nudelreste auf wundersame Weise im Erdreich. Kein Wunder also, dass lustige Outdoor-Picknicks seit April zu unserem kulinarischen Familien-Alltag gehören wie das bunt schillernde Gefieder zum Papagei. Denn hey, hier draußen auf unserer Terrasse ist es vollkommen wurscht ob selbige nach unten fällt. Wurde in den karg-krümeligen Wintermonaten unser Kehrbesen zu meinem treuen Lover, habe ich ihn bei Sonnenschein mit dem heißblütigen Gartenschlauch eingetauscht. Denn auf unserer Terrasse, kann man einfach alles wegsprühen. So dachte ich zumindest. Bis uns kürzlich mein Schwager besuchte. Wir mampften gerade in glücklicher Eintracht die letzten Reste der süßen Geburtstags-Torte als mein Schwager beim Kauen plötzlich innehielt und angewidert sagte: „Was riecht denn hier so grauenvoll? Das ist ja unerträglich! Kann es sein, dass unter Eurem Terrassentisch gerade ein toter Fisch vergammelt? Ihr müsst das Aas unbedingt finden und beseitigen!“ Herrlich, wenn diese gepflegte Tisch-Konversation mal nicht appetitanregend wirkt. Aber leider hatte mein Schwager recht. Nur gut, dass wir für eine Woche verreisten. Denn wenn ich die Wahl habe, zwischen Aas aufzuspüren und zu beseitigen, dann packe ich lieber meine Koffer und entscheide mich für’s Schreiben. Ist so. Kann ich nicht ändern. Und manche Probleme lösen sich ja bekanntlich von selbst. Und so picknicken wir nach unserer Reise munter weiter. Nur wenn sich meine Kinder mal wieder im Fischstäbchen Weitspucken am Terrassentisch üben, greife ich schnell und vehement ein!

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