Rebellion an der Kleiderfront

Es sind die immer gleichen Fragen, die Mamas und Papas überall auf der Welt bewegen. Wie bringe ich mein Kind zum Schlafen bevor ich mich selbst, vor Müdigkeit unberechenbar geworden, in einem Erdloch verstecke mit der Aufschrift: „Bitte die nächsten sechs Jahre nicht stören, ich halte Winterschlaf!“ Wie überstehe ich das gemeinsame Essen mit Kleinkindern ohne im klebrigen Allerlei zu ersticken oder noch schlimmer, ohne einen furchteinflößenden Fetisch für Handstaubsauger und Kehrbesen zu entwickeln? Oder wie bringe ich meinen Nachwuchs dazu, sich konventionell und der Saison entsprechend zu kleiden? Eine ganz heikle Frage! Das merkte auch eine Schweizerin, deren Buch mich sehr amüsierte. Ihre dreijährige Tochter wählte zum morgendlichen Einkauf das folgende moderne Sommer-Outfit: knallbunter Badeanzug lässig kombiniert mit farbenfrohen Gummistiefeln und einer Kette aus selbst gebastelten Tampons. Auch wenn der Stenz gerne mal eine Duschhaube als trendige Kopfbedeckung trägt, ist sein Modebewusstsein lange nicht so avantgardistisch wie das der kleinen Schweizer Fashionista. Dennoch kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass das Verhältnis meines Sohnes zur Mode ein besonderes ist.

„Diese Duhe lieb‘ ich nicht“

Dass harmlos ausschauende Kleidungsstücke, wie zeitlose Turnschuhe, einen kleinen Menschen so in Rage bringen können, hätte ich vor meinem Dasein als Mama nie für möglich gehalten. „Diese Duhe (Schuhe) lieb‘ ich nicht“, erklärte mir der Stenz schon mit zwei Jahren voller Inbrunst und pfefferte die von mir heiß geliebten Mini-Chucks mit Schmackes in die Ecke. Um dann, man glaubt es nicht, mit einem breiten Lächeln in die wohl hässlichsten Schuhe der Welt, in kleine blaue Mini-Crocs zu schlüpfen. Mein Mutter- und Modeherz blutete und ich musste erst lernen, dass der Todesfeind N°1 für uns am Morgen Schuhe mit Schnürsenkeln sind. Doch nicht nur Schnürsenkel-Schuhe auch perfide Socken, die sich nach dem Aufstehen auf hinterlistige Weise dazu entschließen, mal ein bisschen Falten zu schlagen und sich an den Fußzehen ganz böse zu kringeln, verwandeln mein Kind in Etwas, das mich ängstigt und zur Überlegung bringt, einen Exorzisten zu rufen. „Endlich mal ein bisschen Ramba Zamba hier im Haus“, denken sich die blöden Socken und lachen hämisch in ihre Käsefuß-Aura. Auch lokalpatriotische Bayern-Outfits müssen präzise und mit Bedacht gewählt werden. „Nein, es muss das weiß blau karierte Hemd zur Lederhose sein, ein anderes ziehe ich auf garrrrr keinen Fall an!“ Und das aus dem Mund eines Vierjährigen, der vor kurzer Zeit noch nicht mal wusste, was eine Maifeier ist (zu dieser wollte er das Outfit nämlich tragen). Dass das einzig weiß blau karierte Hemd in seinem Kleiderschrank fünf Nummern zu klein war und lediglich bis knapp über den Hals reichte, war ihm dabei völlig schnuppe. In Modefragen ist der Stenz leider komplett beratungsresistent.

4°C und Sonnenschein, ideal zum Tragen der neuesten Sommermode

Ein weiteres hoch explosives Minenfeld, das unsere heimische Ankleide in ein Krisengebiet verwandelt, ist die Länge seiner Hosen und Shirts. Lange Beinkleider sind für den Stenz, seit die Märzsonne den bayerischen Tiefschnee sanft hinwegtaute, ein absolutes No Go. Die mütterliche Anordnung, bei Außentemperaturen von 4°C doch bitte die lange Hose anzuziehen, erscheint dem Stenz ähnlich absurd wie der Befehl auf unser Dach zu steigen um von dort zum Kindergarten zu fliegen. „Aber Mami, es scheint doch die Sonne, da muss ich kurze Hosen anziehen!“ startet mein Sohn seine sinnige Argumentationskette. Dabei beschleicht mich so eine leise Ahnung, warum der Stenz so seltsam in Mode-Dingen tickt. Und es könnte sein, dass ich daran nicht ganz unschuldig bin.

Frühkindliches Mode-Trauma

Der Stenz hat ein Trauma. Mit anderthalb Jahren verloren wir dummerweise auf einer Reise das einzige Paar Schuhe, das wir ihm in den Urlaub mitgenommen hatten. Wir verloren es unwiederbringlich in einer italienischen Serpentine weit oberhalb des Gardasees. Auf der Zielgeraden, wenige Kilometer vor unserem ersten Urlaubsort, entschied sich der Stenz dazu, seine Treterchen im Auto wild von sich zu schmeißen und zu brüllen. Vollkommen erschöpft hielten wir an. Als wir dann endlich weiterfuhren, hatte sich der Stenz zwar immer noch nicht beruhigt, aber seine Schuhe, die ich interimsweise auf dem Autodach geparkt hatte, waren für immer im italienischen Nirgendwo verschollen. Die Hotel-Badelatschen in Größe XS aus dicker Pappe halfen uns leider nicht wirklich über den herben Verlust hinweg. Und so mussten wir uns, auf unserer zweiten Feriendestination Elba angekommen, auf die Suche nach geeignetem Ersatz machen. Nun ist, wie wir bald merkten, auf einer kleinen Insel wie Elba, das Sortiment für Kleinkind-Schuhe in etwa so umfangreich wie in der damaligen DDR die Auswahl an exotischen Früchten. Wir erwarben für ihn blaue Taucherschuhe! Aus Neopren! Tragischerweise verschlampten wir auch noch seinen Sonnenhut. Ein entsprechendes Kappen-Substitut, das wir nach langer Suche aufspürten, schillerte auffällig pink und saß schon etwas spack. So flanierte der Stenz an der Strand-Promenade mit blauen Neoprenschuhen und wenig genderneutralem, viel zu kleinem Hut.

Emanzipation von der aufoktroyierten mütterlichen Transpiration

Warum mein Sohn so gerne freies Bein zeigt liegt wohl in der Tatsache begründet, dass er seit seiner Geburt schwitzen muss. Verantwortlich für diese unfreiwillige Transpiration bin wohl ich.  Denn ich friere immer und überall. Und so greife ich gerne auch noch Ende Mai zu wärmenden Strumpfhosen. Mein Kleiderschrank beeindruckt mit einer schier unendlichen Fülle an Rollkragenpullis. Im Winter trage ich beinahe durchgehend Thermo-Unterwäsche, bevorzugt zweilagig. Das Jack Wolfskin hässliche Mäntel entwirft ist mir vollkommen wurscht, ich kaufe sie trotzdem. Hauptsache sie sind warm. Und da ich immer und überall friere, versuche ich meine Kinder vor diesem Leiden zu schützen. Und zwar indem ich sie seit ihrer Geburt in Watte packe. Ich zähle zu den Müttern, bei denen Omas, Opas und Tanten entsetzt aufschreien und vor einem kindlichen Kollaps durch Überhitzung warnen. In diesem Fall bin ich allerdings diejenige, die beratungsresistent bleibt. Papperlapapp, erfroren sind schon viele, erschwitzt ist allerdings noch keiner! Gegen dieses unsinnige, von mir ins Leben gerufene Credo, streikt aber nun der Stenz. Er geht in Watte-Pack-Revolution und verzeiht mir bis heute den Taucherschuh-Faux Pas nicht. Zu Recht! Also bei der nächsten Rebellion an der Kleiderfront werde ich mein Verschulden an der Misere unbedingt im Hinterkopf behalten. Nur für die widerspenstigen Socken, für die kann ich wirklich nix!

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