Ritsch Ratsch – Schnipp Schnapp

Der Stenz ist kreativ. Sehr kreativ. Mit ihm wird mir selten langweilig und das ist meistens schön. O.k., nicht immer. Häufig. Ab und zu. Hin und wieder. Und zwar dann nicht, wenn ich das Gefühl habe, mit dem Lieblings-Protagonisten meiner Kindheit, Michel aus Lönneberga, unter einem Dach zu leben. Dabei ist der Stenz mindestens genauso phantasievoll wie das Pendant aus Schweden. 

Grüner Rettungsreif mit Kuh

Kürzlich habe ich eine Freundin mit zwei kleinen Mädchen besucht. Nach literweisem Kaffee (wir hatten uns viel zu erzählen) musste ich mal. Eigentlich sehr unspektakulär. Jedenfalls so lange, bis ich das Gefühl hatte festzustecken. Ich wunderte mich, wie eine normal gebaute Familie so kleine Toilettensitze freiwillig ihr eigen nennen konnte. Das kam ja einer Folterung gleich. Quasi das Gegenteil vom gemütlich stillen Örtchen. Als ich meine Freundin darauf ansprach, brach sie in schallendes Gelächter aus. „Da hast Du Dir wohl das Falsche, nämlich das Kinderklo ausgesucht. Der Toilettenring für die Kids ist feste montiert.“ „Aha, so was gibt’s auch“ dachte ich mir und tat das Ganze innerlich als übertriebenes „Gedöns“ ab. Aber nur bis zu jenem Tag, als es der Stenz dem Michel mit der Suppenschüssel gleichtun wollte. Allerdings in etwas abgewandelter Form. Denn Suppenschüssel kann ja jeder. Mit ’nem grünen Toilettenring mit lustig bunten Kühen drauf, macht das ganze viel mehr Freude. Da sieht man auch mehr. Es ziert den Hals auch besser. Gerade in Zeiten des Klimawandels ist es sehr nützlich allzeit bereit und bestens gewappnet zu sein. Wenn uns nämlich morgen unerwartetes Hochwasser überrascht, ja dann ist der Stenz exzellent vorbereitet. Er trägt den Rettungsring schon um den Hals. Grüner Toilettenring: ein Garant bei jedem niederschlagsreichen Unwetter. So genial, das sollten wir uns fast patentieren lassen. Hätten die das damals doch auf der Titanic gewusst. Zugegeben, als mir der Stenz weinend mit grünem Toilettenring unter seinem Kopf, verzweifelt zurief: „Mami, ich stecke fest“, da ist mir diese grandiose Patent-Idee nicht sofort gekommen. Und ich gestehe, während ich mit viel Feingefühl den Toilettenaufsatz von meinem Kind herunter friemelte, sah ich schlagartig die Sinnhaftigkeit fest installierter Toilettensitze für Kinder und bat meine Freundin in Gedanken um Vergebung. Ihre Installation war weit von unnützem Gedöns entfernt. Nach ca. zehn Minuten höchster Konzentration meinerseits trug der Stenz wieder Hals. Und ich beglückwünschte mich zu meiner großartigen, besonnenen Reaktion.

In der Ruhe liegt die Kraft

Von dieser Besonnenheit müsste ich eigentlich meiner Nachbarin erzählen, denn zwei Jahre zuvor, war ich doch eher hektisch, vielleicht sogar ein kleines bisschen kopflos als ich mit einem total aufgelösten Stenz bei ihr Sturm klingelte und panisch um Hilfe bat. Doch der Reihe nach: Während ich lustig vor mich hin werkelte, hatte der Stenz meinen Armreif entdeckt. Ein silbernes, ziemlich massives und unflexibles Ding, das über einen ganz kleinen Schlitz für XXS- Handgelenke verfügt. Der Stenz, der auf jeden Fall die Experimentierfreude seines Physiker-Vaters geerbt hat, drehte und wendete mein Schmuckstück und stülpte es sich dann kurzerhand in den Mund, wo es dann zwischen Unterkiefer und Kinn feststeckte. Mit markerschütternden Schreien dokumentierte er dieses seltsame Unterfangen. Unser kleines Stierchen trug also keinen Nasen-, sondern einen Kieferring. Und da ich seit jeher immer schon zu Panik und Hysterie neige, besonders wenn es um das Kostbarste meines Lebens geht, fiel meine Reaktion entsprechend angespannt aus. Der erste Zieh- und Zerrversuch rief ein noch ohrenbetäubenderes Kreischen hervor, sodass ich den Stenz kurzerhand und relativ unbesonnen in Richtung unserer patenten Nachbarin schleppte. Sie war wie immer die Ruhe in Person und befreite den Stenz schwuppdiwupp von seiner Neu-Interpretation eines mobilen „Gesichts-Piercings“ und mich bewahrte sie vor einem mittelschweren Break-Down.

Der wandelnde Skihelm 

Und das ist auch das Stichwort, warum ich diese Story schreibe. Heute war der Tag meines Break-Downs. Und zwar so richtig. Eigentlich dachte ich, ich hätte den schon letztes Wochenende gehabt. Als mein Mann nämlich in einem kurzen Moment meiner Unaufmerksamkeit unseren Garten in eine dürre Einöde verwandelte. Nur mal kurz die Vorhänge zugemacht, um das Baby zum Schlafen zu bringen und hossa die Waldfee wieder aus dem Fenster geschaut und in eine karge grüne Wüste geblickt. Rudi Carell hätte bei der Anmoderation unserer Garten-Metamorphose seinen Spaß gehabt: „Eben noch sattes, hohes Laubbaumgrün und jetzt nur noch öde Steppe.“ Ja, aber siehst Du denn nicht, das war ein Unkrautbaum!“ rief mir der Mann,  seine Säge immer noch triumphal schwenkend entgegen. Und auch der Stenz, der bei 28 Grad im Schatten mit Skihelm, Skibrille und arktischen Handschuhen bewaffnet die Baumfällaktion tatkräftig unterstützt hatte, schrie aufgebracht: „Wir haben so hart gearbeitet, Papa und ich, schau doch wie ich schwitze.“ Um sein Gesagtes auch mit Gesten zu untermauern, wedelte der wandelnde Skihelm wild mit den leblosen Ästen des gefällten „Unkrautbaumes“. Nur das Versprechen meines Mannes, mit mir in Bälde zum Baumarkt zu fahren und sämtliche meiner floralen Wünsche Realität werden zu lassen, besänftigte meinen emotionalen Aufruhr.

Hare Krishnas aufgepasst!

Doch heute, brauchte ich länger. Und zwar genau eine halbe Seeseite. Denn erst nachdem ich vom Ost- zum Westufer des Starnberger Sees gepaddelt bin, glätteten sich die Wogen meiner aufgepeitschten Seele. Dabei redete der Mann mit Engelszungen beruhigend auf mich ein. Das sei doch alles halb so schlimm! Eine Woche nach dem Garten-Kahlschlag zelebrierte der Stenz nämlich eine gewisse Analogie, allerdings nicht auf unserer Rasenfläche, sondern an sich selbst. Ich war gerade dabei, meine wahr gewordenen Blüten-Träume zu wässern, als das Stimmchen unseres Sohnes mit folgenden verheißungsvollen Worten erklang: „Maaaami, komm schnell, ich habe meine Haare geschnitten!“ Ich glaube, in den letzten drei Jahrzehnten bin ich nicht so schnell gesprintet wie in dem Moment als ich diesen folgeschweren Satz vernahm. Doch selbst wenn ich schneller als der Blitz gerannt wäre, ich wäre zu spät gekommen. Die Katastrophe war vollbracht: Der Stenz trägt seit heute vorne Glatze. Auf seinem Kopf befindet sich ein Vokuhila, der drastischer nicht sein könnte. Es schaut aus als hätte ein ehrgeiziger Blinder Coiffeur gespielt. Das Ergebnis: die neue Trend-Frisur für alle Hare-Krishnas. Doch fast noch schlimmer als der Anblick dieser Radikal-Frisur, die sich auch bestens als Protest-Frisur eignet, war das sorgsam zusammengetragene Knäuel, das der Meister-Barbier liebevoll auf einem Blatt Papier zusammengetragen und wunderschön drapiert hat. Voller Stolz zeigte er mir, die ich immer noch in Schockstarre verharrte, sein Tagwerk aus dem man gut und gerne drei Pullover stricken könnte. Mein spontaner Impuls war heulen. Die blonden Härchen vorne einfach weg. Ich konnte es nicht fassen. Nie zuvor hat er bei einem Friseur-Besuch so viel Haar verloren wie heute. Dabei möchte ich anmerken, dass das Haupt unseres Sohnes in den ersten zwei Lebensjahren nie gestutzt wurde und locker flockig schulterlang herunterpurzelte. In der Waschanlage fragte mich der Tankwart damals „Und welches Quietsche-Entchen darf es für die kleine Prinzessin heute als Geschenk sein?“ Das heißt in Sachen Stenz-Haar bin ich empfindlich. Sehr sogar! Zum Glück ist der Stenz hübsch. Ich finde ihn jedenfalls wunderschön. Und wie heißt es doch: „Einen schönen Menschen entstellt nichts.“ An Ostern 2019 hat sich die Vorder-Glatze hoffentlich wieder verwachsen. Und bis dahin trägt man Kappe!

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