Über Brustwarzen-Zwirbler, Ohren-Zieher und andere Nachteulen

Schlafen ist wunderbar. Kinder, insbesondere Babys sehen das leider anders. Gerade das Einschlafen ist nicht besonders beliebt. So erfuhr ich unlängst, dass der Sohn einer Freundin nur dann sanft entschlummere, wenn er zuvor die Brustwarzen seiner Mama zwirble, ein anderes Kind zöge zum besseren Einschlafen an Mutters Ohren und wieder ein weiteres gelange nur ins Land der süßen Träume, wenn es sich wie eine Federboa um den Hals der Mama schmiege. Was machen Mütter nicht alles für ein klein wenig Schlaf? Sind sie nicht alle Heldinnen?

Ich, die engagierte Traubenstampferin

Zurzeit schlafe ich sehr gut. Das war nicht immer so. Denn auch meine Kinder verlangten, vor allem im Säuglingsalter, nach dem ein oder anderen grotesk anmutenden Einschlaf-Ritual. So sprang ich beispielsweise bei meiner Zweitgeborenen wie ein Känguru mit seinem Jungen im Beutel durch unser Wohnzimmer. Ganz so, als sei ich auf der Flucht vor einem ausgehungerten Löwen. Und wenn ich nicht gerade am Fernseher und unserer Couch vorbei sprang, dann betätigte ich mich als Traubenstampferin. So sah ich nämlich aus, als ich ganz langsam von einem Bein auf’s nächste trat, natürlich mit der Tochter im Beutel. Ganz so wie ein Hampelmann in Zeitlupe. Dabei brummte ich mit sonorer Stimme die Ur-Laute: „Alles ist gut, Mama ist da.“ Ganz tief und schwer hörte ich mich dabei an. Sowohl das Hüpfen als auch die Stimmverlagerung verlangte mir so einiges ab. Ich versuchte nämlich auf Anweisung der Hebamme genau die Tonlage zu treffen, die mein Kind im Bauch von mir vernommen hatte. Meiner Phantasie waren also keine Grenzen gesetzt. Es hört sich leichter an als es tatsächlich ist, wie ein Schwerverbrecher im Stimmbruch zu sprechen.

Nächtlicher Beutelwechsel

Doch bevor ich mit meinen Sprüngen und meinem tiefen Singsang loslegen konnte, musst erst mein Känguru-Beutel fachkundig an mich geknotet werden. Nicht dass bei meinen Hüpfern plötzlich und unerwartet mein Junges herauspurzelte – nicht auszudenken! Zum Glück wurde ich von einer Freundin in die hohe Kunst des Beutelwickelns eingewiesen. Gar nicht so einfach ein scheinbar 500 Meter langes, nicht enden wollendes Tuch an sich zu verarbeiten ohne als erste lebende Mumie in die Annalen einzugehen. Während mein Sohn drei Jahre zuvor, beim Einwickeln eine klaustrophobische Attacke erlitt und ich selbst zu ersticken drohte und daraufhin diese Einschlafmethode als absurd abschrieb, schwor ich bei meiner Tochter darauf. Es war nämlich die einzige Möglichkeit, sie zwischen ein und vier Uhr nachts wieder zum Einschlafen zu bewegen. Doch eines nachts konnte ich nicht mehr. Weder hüpfen, hampeln noch singen. Die Lösung: Der Känguru-Papa musste zur Känguru-Mama mutieren. Nachdem ich ihm unser Junges umgebunden hatte, fing er an zu stampfen. Denn für Hüpfer war er um diese unwirtliche Zeit zu müde. Er stampfte und singsangte. Allerdings schienen seine Stampfer mit meinen nicht mithalten zu können. Ich glaube, ihnen fehlte es einfach an der nötigen Grazie. Und so verlangte unsere Tochter zappelnd und weinend nach einem Beutelwechsel. Und auch wenn mein Mann damals als professionelle Einschlafhilfe morgens um halb vier versagte, so bleibt mir doch bis heute dieses wundervolle Bild des Mannes, der sich als Känguru-Mutter probierte. Und das ist Gold wert, glauben Sie mir!

Warmer Wüstenwind, der Einschlafbalsam für Säuglinge

A propos gelungenes Bild. Auch mein Sohn trug dazu bei, dass ich im hohen Alter viele fröhliche Erinnerungen vor meinem geistigen Auge Revue passieren lassen kann. Denn während meine Tochter sich dazu entschloss, lediglich zwischen der dritten und siebten Lebenswoche mitten in der Nacht lauthals Wache zu halten, schlief der Stenz genau eine Nacht. Und zwar die nach seiner Geburt. Anschließend vertrat er die Überzeugung, dass der nächtliche Schlaf überbewertet sei und entsagte ihm bis auf Weiteres fast gänzlich. Vielleicht war es auch nicht unbedingt seine Überzeugung als viel mehr sein Wille, uns, seine Eltern, in Sachen Kreativität zu schulen. Er wollte erfinderische Eltern, die sich ihre nächtliche Erholung auf trickreiche Weise verdienten. So probierten wir Pucken, Beutelhopser, Waschmaschinenfahrten und Staubsauger-Hypnose. Nichts von alledem half. Doch dann entdeckten wir dank empirischer Studien befreundeter Eltern eine, auf den ersten Blick recht aussichtsreiche Strategie. Sie bestand darin, den Stenz zu föhnen. Und so etablierte sich folgender Automatismus: Der Stenz schrie und wir föhnten. Wenige Minuten nach dem Föhnen knackte unser Kind weg. Es war wie Zauberei. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Jubelnd lagen wir uns in den Armen. Ich war sogar kurzzeitig versucht, die Korken knallen zu lassen. Doch morgens um fünf kommt die Feierlaune schon ein bisschen schal und fad daher. Deshalb ab ins Bett und sofort schlafen. Doch „wäääääh“ –  was war das denn? Just in dem Moment als ich meine Augen schloss, begann der Stenz erneut zu brüllen. Also noch mal eine Runde föhnen. Das Problem an dieser Taktik war, dass sie nur auf den ersten Blick von Erfolg gekrönt war. Denn der Stenz’sche Schlaf war nach einer Föhn-Einheit leider nur von kurzer Dauer, sehr kurzer Dauer. Besonders schön wurde unser Föhn-Spektakel in Wellnesshotels, die ihren Gästen nicht trauten und ihnen diebische Absichten unterstellten. Denn dann war der Föhn an der Badezimmerwand fest installiert und wir sahen uns genötigt, unser greinendes Kind samt Reisebettchen zum Föhn zu bugsieren. Ebenfalls ein sehr schönes und erinnerungswürdiges Bild. Vor allem dann, wenn das Reisebett nicht durch die Badezimmertür passt. Zu meiner Entschuldigung, wir waren verzweifelt nachts um halb fünf.

Zicklein oder Känguru, was ist besser?

Die zweite, und viel nachhaltigere Strategie war die des Kinderwagenschiebens. Zu ihr waren wir nach einer Nacht, in der ich stolze 58 Föhn-Intervalle zählte und in der ich beinahe unsere Wohnung in Brand gesteckt hätte, übergegangen. Die Kinderwagen-Methode war nicht nur nachhaltiger und sicherer, sondern auch gesünder. Denn ein bisschen frische Luft hat noch niemandem geschadet. Das ist auch besser als Wüstenwind aus dem Föhn. Wobei ich mich auch fast in der Sahara wähnte als ich in einem Sommer sengender Hitze flink wie ein Zicklein von Schattenplatz zu Schattenplatz sprang. Nicht um besonders saftige Grashalme zu fressen, sondern um den Stenz im Kinderwagen in den Schlaf zu schieben. Fast 60 Minuten schob ich ihn bei 40 Grad Celsius, immer auf der dünnen Schattenlinie der Gebüsche unserer Straße balancierend, bis er dann endlich einschlief. Aber nur um nach zehn Minuten des Power Naps zu Hause wieder aufzuwachen. Doch trotz solcher Rückschläge, erwies sich der Kinderwagen für sehr lange Zeit als mein loyalster Verbündeter. Ich schob ihn auf Terrassen, in Wohnzimmern, in Gärten nachts um halb vier und kämpfte mich mit ihm durch Eis, Sturm und Schnee, nur um mein Kind zum Schlafen zu bringen. Und heute? Heute braucht es eigentlich nicht viel mehr als einen ausgetobten Tag, ein weiches Bett und die Gewissheit, dass wir ganz nah sind, damit unsere Kinder einschlafen. Sollten Sie sich also gerade dabei ertappen, irgendwo da draußen wie ein Zicklein, ein Känguru oder eine Traubenstampferin in Trance zu funktionieren, nur damit ihr Kind endlich einnickt, dann merken sie sich einfach ihren Anblick und speichern ihn ganz feste. Denn in nicht allzu langer Zeit können Sie darüber wieder lachen. Versprochen!

4 Antworten auf „Über Brustwarzen-Zwirbler, Ohren-Zieher und andere Nachteulen“

  1. Super geschrieben! Ich habe mich in manchen Situationen wieder erkannt… wenn ich so darüber nachdenke, macht man schon die verrücktesten Sachen, für ein bisschen Babyschlaf 😁

    1. Liebe Simone, vielen Dank für Deinen netten Kommentar! Ja, man entwickelt die irrsten Strategien, um aufgrund der Schlaflosigkeit nicht vollends verrückt zu werden.

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